2020-03 Bürgerdialog in Heilbronn
Jetzt mal ein ganz anderes Thema in Coronazeiten:
Frankfurter sehr interessiert am Bürgerdialog „Deutschland im Gespräch“
Nach Heilbronn, zum Bürgerdialog, warum nicht? Und so bewarben wir uns gemeinsam mit meiner Frau Swetlana auf den Beitrag der MOZ für die Wochenendfahrt Mitte Februar in die Partnerstadt Heilbronn. 15 Plätze sollten für Bürger reserviert sein, da war die überraschende Freude schon groß, ausgewählt worden zu sein. Auch wenn die anschließend zu beantwortenden Fragen auf der Homepage www.deutschland-ist-eins-vieles.de etwas seltsam anmuteten, wie sollte man sich denn wirklich typisch Ost- oder Westdeutschland als Foto vorstellen, oder Charaktereigenschaften der Menschen beiderseits der ehemaligen Grenze verallgemeinern.
Als wir am Freitag am Morgen zum Bahnhof kamen, waren wir erneut überrascht, als zwei vollbesetzte Busse insgesamt 88 Frankfurter nach Heilbronn brachten, unter ihnen viele alte Bekannte aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen. Auch die Stadtverwaltung war neben zwei Mitarbeitern mit dem Oberbürgermeister, der Beigeordneten Milena Manns und der Kämmerin bestens repräsentiert.
Eigentlich sind zwei mal zehn Stunden Busfahrt nicht gerade der Traum von einem erfüllten Wochenende, es war aber erstaunlich kurzweilig, da fortlaufen Storys und Anekdoten die Runde machten, noch mal schnell telefonische Kontakte mit alten Heilbronner Bekannten aufgenommen wurde und der Komfort im Reisebus und allzeit nette Servicekräfte nichts zu wünschen übrig ließen.
Die Unterkunft im besten Haus am Platze, dem Inselhotel, ein üppiges und delikates Abendmahl mit Heilbronner Rebensaft stimmte alle Reiseteilnehmer auf den Dialogsonnabend bestens ein: Auf Einladung der Bundesregierung werden Bürgerinnen und Bürger der beiden Partnerstädte in Heilbronn zusammengekommen, um über die Deutsche Einheit zu diskutieren.
Obwohl wir nächsten Morgen in zehn Minuten per Fuß beim Bildungscampus angekommen wären fuhren wir über 20 Minuten durch eine von Baustellen und Umleitungen geprägte Heilbronner Innenstadt, aber wir kamen an und trafen mit unseren Heilbronnern Gesprächspartnern zusammen, leider viel weniger, als wir ursprünglich gehofft hatten. Schon bei meinen Telefonaten musste ich immer wieder feststellen, dass die Begegnungsveranstaltung nicht wirklich gut kommuniziert wurde, auch die dortige Stadtverwaltung viel zu spät einbezogen wurde.
Die Organisatoren haben dieses Manko den Teilnehmern kaum merken lassen, lenkten und moderierten den Tag professionell und verhalfen der Veranstaltung zum geplanten Erfolg.
Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel stellte in seiner Begrüßung die Gastgeberstadt vor, unser Stadtoberhaupt, René Wilke, beschrieb seine Erwartungen und Zuversicht auf einen kurzweiligen und nutzbringenden Tag „Wir sind neugierig und gespannt auf den Austausch“.
Nach 30 Jahren der Deutsche Einheit veranstaltet der Bund 16 Begegnungsveranstaltungen deutsch-deutscher Partnerstädte als Bürgerdialog. Mit Eröffnung des Dialogs in Heilbronn mit der Eröffnung durch die beiden Oberbürgermeister aus Heilbronn und Frankfurt (Oder), Harry Mergel und René Wilke, Passagen aus den Workshops und von der Stadtführung.
Video in 360 Grad HD Auflösung, mit der Insta 360 OneX aufgenommen.
Nach dieser Eröffnung, die man sich im vollen Wortlaut im 360 Grad- Modus auf noch mal ansehen und anhören kann auf dieser internationalen Frankfurter Homepage, startete der Bürgerdialog in zahlreichen gemischten Arbeitsgruppen zu jeweils etwa sechs, dann zwölf Frankfurtern und Heilbronnern. Zunächst stellte sich jeder in kleiner Runde vor, sprach über seine persönlichen Erfahrungen insbesondere nach der Wende und zu seinen Erwartungen von dieser Veranstaltung. In zwei zusammengefassten Gruppen stellte man abwechselnd seine Gruppenmitglieder und deren Input vor, um dann im Los ausgewählten Schwerpunktthemen vertiefend zu diskutieren und anschließend dem Forum zu präsentieren.
In unserer Gruppe ging es darum, welche Erfahrungen genutzt werden sollten, um die Herausforderungen für Deutschland besser bewältigen zu können. Dr. Liselotte Denner aus Sulzbach brachte als Schreiber unseren Dialog gekonnt auf den Flipchart: Optimismus wiedergewinnen, junge Menschen einbeziehen und in ihrer Eigenverantwortung stärken, ihnen zuhören und sie ernst nehmen, Frauen verstärkt in die Verantwortung bringen, …
Die Hauptherausforderung aktuell bestehe darin, die Glaubwürdigkeit der Politik im Wechselspiel der Wertesysteme unter der Bewahrung des Geschichtsbewusstseins, für Deutschland wieder zu gewinnen. Gute Erfahrungen, auch aus der DDR, wie einheitliches Bildungssystem und Versorgung der Kinder und damit die Ermöglichung der unbenachteiligten Berufstätigkeit der Frauen, sollten aufgearbeitet und genutzt werden. Ein besonderes Highlight brachte Heidi Langisch als Erfahrung ein, wie die Heilbronner Schülerin Manuela Demel als Teilnehmerin des Sommercamps der Partnerstädte, Heilbronner Delegationsleiterin, Studentin an der Europauniversität Viadrina und ehrenamtliches Mitglied des Gastgeberteams, dann Leiterin des Frankfurt- Slubicer Kompetenzteams – verantwortlich für Vorbereitung und Durchführung des Sommercamps der Partnerstädte, heute zur leitenden Mitarbeiterin der pewobe gGmbH als internationale Projektverantwortliche gewachsen ist und sich als Heilbronnerin bewusst für ein Leben in Frankfurt (Oder) entschieden hat. Abwechselnd präsentierten Frankfurter und Heilbronner, jeweils mit viel Beifall bedacht, die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppen.
Der „Open Space“ bildeten sich auf der Grundlage von Vorschlägen aller Teilnehmer. Es ging zum Beispiel um die Bedeutung des Begriffs „Heimat“, Formen der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen oder das Vermitteln und Verstehen (ost-west) deutscher Biografien. Intensive, auch kontroverse Diskussionen ließen das Verständnis füreinander spürbar wachsen. Die Zeit reichte zwar nur, wenige dieser Ergebnisse der Allgemeinheit zu präsentieren, aber einig war man sich dennoch, zwischen Frankfurtern und Heilbronnern gibt es deutlich mehr Verbindendes als Trennendes.
Ein Frankfurter- Heilbronner Buffett sorgte für die mittägliche Stärkung – eine Zeit, die auch mit Diskussion und Ideenaustausch sehr sinnvoll verlief. So konnte ich einem Heilbronner Schuldirektor helfen, der eine gemeinsame Frankfurt- Heilbronner Projektidee der Aufbereitung des Erbes Heinrich von Kleist entwickelt hat, diese gleich unserer zuständigen Beigeordneten zu unterbreiten, hoffentlich mit Umsetzungspotential!
Am späteren Nachmittag konnten wir drei Angebote mit Stadtführung, Museumsbesuch und des Science Center experimenta zum näheren Kennen lernen unserer Gastgeberstadt nutzen – und das bei bestem Sonnenschein. Ich nahm an der Stadtführung teil und konnte so die Nachhaltigkeit der BUGA bestaunen und neue Seiten Heilbronns entdecken, die ich bei früheren Besuchen so noch nicht vermittelt bekam.
Weiterer Höhepunkt war der, bei vielen bis in die Nacht reichende, Abend im Bildungscampus. Dort traf ich dann auch die Familie Prötzler wieder, die als Teilnehmer des Fotografenpleinairs der Partnerstädte PanODERama mehrfach in Frankfurt (Oder) mitwirkten. Andere Bekannte, wie die befreundeten Grünen- Aktivisten Reinhold Schmidt und Ophielia Giokarinis, waren erwartungsgemäß den ganzen Tag dabei.
Einen schönen Höhepunkt des Abendprogramms setzen auch zwei Frankfurter als Heinrich von Kleist und als Käthchen von Heilbronn, seit Kleists Geburt 1777 schon etwas in die Jahre gekommen, mit einem erfrischenden Epilog. Drei Schauspieler eines Improvisationstheaters, die den ganzen Tag dabei waren, versuchten das Forum kurzweilig zu interpretieren, ein Alte Herren Trio überraschte mit zünftiger Live Musik von der Bühne und zum Abschluss brachten mehrere Sänger und Tänzer den Saal zum Brodeln und Mittanzen.
Auf der Rückfahrt waren wir uns alle einig, eine gelungene Veranstaltung die zumindest für unsere deutsch- deutsche Städtepartnerschaft viel gebracht hat und sicher helfen wird, besser zu verstehen, warum der Prozess der Deutschen Einheit so langwierig, aber auch in all seinen Nuancen so wertvoll ist.
Klaus Baldauf